Zu Besuch bei den Stuhlflechtern: Stuhlbau Teil 5

Die Sitzfläche des gebauten Stuhls bekommt eine ganz besondere Bespannung – in einer ganz besonderen Einrichtung.

Ein Stuhl ist vor allem zum Sitzen gedacht, darum muss ich mich jetzt auch mal dringend um eine geeignete Sitzfläche bemühen. Den Gang in die Polsterei verschieben wir auf ein anderes Möbelstück, heute geht es ganz traditionell zu den Flechterinnen und Flechtern.

Mein Weg führt mich in die Berliner Bürsten- und Flechtmanufaktur im Haus der ehemaligen Blindenanstalt. Warum auch nicht, wer anhand kleiner Punkte Bücher lesen kann, erfühlt in einem Sitzgeflecht wahrscheinlich auch weitaus mehr, als ich sehen kann.

Weidenruten (geschält und ungeschält), Binsen und Rattan: Die Ausgangsmaterialien für die Stuhlbespannung. Die schwarze Färbung (Hintergrund links) der geschälten Weidenruten erzielt man übrigens mit Eisenoxid, was mit der Gerbsäure der Weidenrinde reagiert. Wir kennen das von der (Moor-)Eiche.

Im Wasserbecken wird das Flechtmaterial eingeweicht. So wird es flexibler und lässt sich besser verarbeiten. Das kann je nach Material von wenigen Minuten bis zu zwei Wochen dauern. Das Wasser wird übrigens nur jährlich getauscht, da durch die entstehenden Bakterienkulturen das harte Berliner Wasser weicher wird. Dies wirkt sich positiv auf das Biegeverhalten aus.

Weiden werden heutzutage eher beim Korbflechten eingesetzt, im Stuhlbau hat sich Rattan, ein Produkt der Rattanpalme, durchgesetzt.

Optisch erinnert es mich zunächst an Bambus, doch ich werde schnell eines Besseren belehrt: Bambus ist innen hohl und gehört botanisch zu den Grasgewächsen.

Die Palmentriebe können 100m lang werden und bestehen aus Stamm (Peddig) und Schale (Wickelrohr). Die stachelige Rinde wird entfernt. Im Hintergrund ist Bambus (ganz links im Bild) zu erkennen.

Ein Stuhl aus nur einem Material: Die tragenden Elemente sind aus Peddigrohr gefertigt, das Geflecht aus Wickelrohr.

Das Peddigrohr wird ähnlich wie bei unserer Rückenlehne aus Eiche mit Wasserdampf erwärmt und lässt sich so besser biegen. Hier zeigen sich durch die auftretenden Druckkräfte mitunter auch diese Stauchungen. In frischem Zustand kann das Material auch um ein heißes Rohr gebogen werden, was typische dunkle Stellen am Innenradius hinterlässt.

Das eigentliche Flechten ist eine Wissenschaft für sich, die vor allem eine Menge Konzentration und Geduld erfordert.

Zugegeben, dieser Stuhl hat mehr als nur gewollte Löcher. Interessant ist aber das Detail der versetzten Lochreihe. So verteilt sich die Belastung quer zur Faser besser.

Der Klassiker: Vor allem als “Wiener Geflecht” bekannt, ist das Achteckgeflecht nicht nur als Sitzfläche, sondern auch als Füllung bei Möbeln und Heizkörperverkleidungen in Verwendung. Die Meisterin erwähnte noch, dass man auch fälschlicherweise gerne vom Wabengeflecht spricht. Aber ihre leicht rollenden Augen mit dem Hinweis, dass Waben sechseckig sind, lässt mich das wohl nie wieder denken 🙂

Da war ich kurz baff: Das sogenannte “Sonnengeflecht” ist für mich Ausdruck von Kreativität und Fleiß der HandwerkerInnen.

Danish Design mit Danish Cord (rechts im Bild): Das “Rattan” der Skandinavier wird aus Papier hergestellt. Unterm Strich also auch wieder ein aus Bäumen gefertigtes Material.

So schön kann Sauergras sein: Die Flechtbinse (mittig im Bild)

Beim Anblick des Binsengeflechts kamen mir dann plötzlich auch dutzende Erinnerungen an die Möbel meiner Kindheit. So schön und filigran alle anderen Geflechte sein mögen:
Gegen Emotionen und schöne Gedanken ist man machtlos. Die Konstruktion meines Stuhls wird auf dieses Geflecht angepasst.

Noch ein paar Worte zu der besuchten Einrichtung: Die USE (Union sozialer Einrichtungen)
in Berlin bietet behinderten/benachteiligten Menschen nachhaltige Arbeits-, Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Neben der Flechtmanufaktur gibt es auch eine Töpferei, BuchbinderInnen und SchachtelmacherInnen. Allesamt Handwerke, die in einer industrialisierten Welt eigentlich längst keine Beachtung mehr finden.

Hier wird also sowohl Menschen, als auch traditionellem Handwerk eine Chance gegeben.
Die Auftragsarbeiten werden mit hoher Qualität ausgeführt, es dauert eben nur ein wenig. Aber das kennen wir doch auch aus unseren Werkstätten oder?

Manch einer braucht da zum Beispiel Monate, um einen einzelnen Stuhl zu bauen 😉

Das könnte Sie auch interessieren

Kommentare

Bisher noch keine Kommentare

Kommentar verfassen