Für weniger Durchblick – Mundgeblasenes Glas

In Vorbereitung auf ein privates Projekt, welches stilistisch dem Barock angelehnt ist, beschäftige ich mich wieder ein wenig intensiver mit traditionellen Herstellungsmethoden.

Glas ist in der modernen Architektur nicht mehr wegzudenken: Große Dachfenster machen aus dem ehemals düsteren Dachboden eine Wohlfühloase, Wintergärten ermöglichen auch bei tiefen Temperaturen gemütliche Grillabende und gläserne Bürogebäude suggerieren auch nach der dritten Überstunde das kleine Gefühl von Freiheit.

Während meiner Lehrzeit wurde unser Betrieb mit einem Großauftrag zur Herstellung und Montage von Doppelkastenfenstern beauftragt. Weit vor der Erfindung von Isolierglas konnte man so bereits einen verbesserten Schallschutz und Wärmedämmung erzielen. Während der Herstellung der ersten Muster für diesen Großauftrag hörte ich zum ersten Mal von „mundgeblasenem Glas“. Auf Grund der hohen Kosten und Problemen bei der Wärmeisolierung wurde diese Idee schnell ad acta gelegt, wenn auch unter Zähneknirschen der ambitionierten Denkmalschutzbeauftragten.

Die Herstellung von runden Glaselementen oder sogar kleinen Figuren war für mich nachvollziehbar und kann in vielen Freilichtmuseen bestaunt werden. Die Herstellung von mundgeblasenem Fensterglas scheint dagegen zunächst ein wenig abstrakt. Es gibt zwar auch hierbei verschiedene Herstellungsverfahren, das Zylinderverfahren ist jedoch einfach erklärt: Zunächst wird ein zylindrischer Körper geblasen. Die Enden werden abgetrennt und der Zylinder wird mittig eingeschnitten. Nun kann der Zylinder ähnlich wie eine Papierrolle abgewickelt werden und mit ein wenig Nachbearbeitung erhält man eine Scheibe.

Im Vergleich zu modernen Fertigungsverfahren ist das mundgeblasene Glas jedoch wesentlich lebhafter: Unterschiedliche Materialstärken und kleine Lufteinschlüsse oder Werkzeugspuren zeigen sich im Ergebnis. Diese Unregelmäßigkeiten sorgen für Lichtbrechungen und Verzerrungen/Verschleierungen und geben den Objekten hinter der Scheibe eine andere Gestalt.

Blick durch eine Tür mit graviertem Glas Das Beispielfoto wurde von mir in einem Gasthaus aufgenommen und zeigt deutlich, wie lebhaft der Blick durch das Glas ist.

Vor allem größere Glasfüllungen (wie bspw. bei Vitrinen) können von diesem Effekt profitieren und lassen das Möbelstück bzw. den Inhalt je nach Witterung und Lichteinfall im stetigen Wandel erscheinen. Wie behauenes Gebälk im Dachstuhl, Spuren vom Schrupphobel oder einfach nur die individuellen Faserverläufe im Holz sorgen auch hier mal wieder die Spuren der Herstellung und Handarbeit für ein Möbel mit Individualität.

Foto: Dominik Ricker

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Kommentare

Jürgen 28.02.2023

Historischer Möbelbau! Da bin ich interessiert und hole den Klappstuhl raus. Wäre das auch mal ein Thema für die Zeitschrift?

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