Der Thonet S32 ist seit fast 100 Jahren eine Stilikone in vielen Büros und Wohnzimmern dieser Welt – und seit kurzem nun auch endlich in meinen vier Wänden anzutreffen.
Warum ich mir einen Stuhl für einen Neupreis von ca. 800€ leisten konnte erfahrt ihr später, vorab ein wenig Kultur und Tipps, wie man einen echten Thonet erkennt.
Entworfen wurde er von Marcel Breuer, welcher seine Tischlerlehre am Bauhaus in Weimar absolvierte und einige Zeit mit Walter Gropius (Gründer der Kunstschule Bauhaus) zusammengearbeitet hat.
Wer sich mit dem Thema „Bauhaus“ bislang noch nicht beschäftigt hat (der sollte das dringend nachholen), für den dürfte zumindest der Leitsatz die „Neue Sachlichkeit“ ein Verständnis für die daraus entstandenen Entwürfe geben.
Schnörkellosigkeit und die Möglichkeit zur industrielle Fertigung sollten diesen Entwurf zu einem günstigen Möbel werden lassen. Dünne Stahlrohre und lichtdurchlässige Geflechte lassen dieses Möbel leicht und wenig raumgreifend wirken.
So ganz ohne aufwendige Details kommt dieser Stuhl jedoch nicht aus: Statt geschnitzten Stuhlbeinen oder gestemmten Zargengestell wurde zwar dank dem gebogenen Stahlrohr sogar gänzlich auf die hinteren Stuhlbeine verzichtet.
Bei genauerem Blick auf Lehne und Sitzfläche wird uns Holzwürmern dann doch der Aufwand bewusst:
Gebogenes Holz ist immer mit Aufwand verbunden.
Wahrscheinlich kam damals auch nur deswegen die Firma Thonet in Frage (diesbezüglich habe ich keine Quellen gefunden, reine Spekulation meinerseits).
Bugholzmöbel wurden dort bereits in Serie hergestellt und Sitzflächen mit Achteck-Geflecht hatten man auch im Programm.
Die gebogenen Elemente dienen dabei übrigens nicht als Verzierung, sondern machen das Sitzen auf diesem Stuhl ergonomischer und salopp ausgedrückt: Er ist wirklich gemütlich.
Lediglich beim Preis ist der Gedanke von Marcel Breuer nicht ganz aufgegangen, aber wir machen ja alle mal Fehler.
Originale von Nachbauten unterscheiden
Bevor wir uns die Details eines „echten“ Thonet S32 ansehen, möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass das künstlerische Urheberrecht des Rohrgestells/Freischwingers bei dem Niederländer Mart Stam liegt.
Die Konflikte zwischen dem Berliner Möbelhersteller Standard Möbel und Thonet können im Internet ausführlich gefunden werden, die Inspiration von dem aus Gasrohren und Winkelstücken zusammengebauten Gestell von Mart Stam gelten aber wohl als Wegbereiter für Stahlgestelle im Möbelbau.
Wer im Internet also nach S33 statt S32 sucht, der findet bei Thonet einen Freischwinger nach einem Entwurf von Mart Stam.
Etwas verwirrender ist die vor allem international bekanntere Bezeichnung Cesca-Chair:
Dabei handelt es sich um eine Variante des italienischen Herstellers Gavina, der in Abstimmung mit Marcel Breuer den Stuhl in Neuauflage produzierte – Der Name Cesca ist dabei der Kosename Breuers Adoptivtochter Francesca.
Größte Auffälligkeit dabei: Die Sitzfläche ist im vorderen Teil nicht abgerundet, sondern gerade. Dieses Detail vereinfacht die Herstellung, büst dabei aber jedoch beim Komfort ein.
Weitere Unterschiede zum Thonet S32 finden sich bei diesen Fotos:
Der Gebrauchtmarkt ist groß und verwirrend, wenn der Stuhl nicht über die hier gezeigten Details verfügt, ist es wahrscheinlich kein Original. Thonet bietet bei Zweifeln auch eine kostenlose Begutachtung per Fotos an.
Selber machen – selber sparen
Vielleicht wurde es schon entdeckt: Der Stuhl ist beschädigt. Das Rohrgeflecht von Sitzfläche und Lehne ist beschädigt und muss getauscht werden. Mit üblichen Werkzeugen einer jeden Holzwerkstatt lässt sich dieser Schaden für etwa 50€ beheben. So habe ich beim Kauf dieses beschädigten Stuhls eine Menge Geld sparen können und erhalte diesen über 40 Jahre alten Stuhl mit wenig Materialaufwand.
In genau diesen Momente wird mir bewusst, wie wichtig die Weitergabe und der Erhalt von traditionellen Kenntnissen ist. Ich bin mir sicher auch in Sinne aller Mitarbeiternden der Holzwerken zu sprechen: Danke, dass ihr mit eurem Hobby der Holzbearbeitung dazu beitragt Wissen zu erhalten.
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