Die Sitzfläche des gebauten Stuhls bekommt eine ganz besondere Bespannung – in einer ganz besonderen Einrichtung.
Ein Stuhl ist vor allem zum Sitzen gedacht, darum muss ich mich jetzt auch mal dringend um eine geeignete Sitzfläche bemühen. Den Gang in die Polsterei verschieben wir auf ein anderes Möbelstück, heute geht es ganz traditionell zu den Flechterinnen und Flechtern.
Mein Weg führt mich in die Berliner Bürsten- und Flechtmanufaktur im Haus der ehemaligen Blindenanstalt. Warum auch nicht, wer anhand kleiner Punkte Bücher lesen kann, erfühlt in einem Sitzgeflecht wahrscheinlich auch weitaus mehr, als ich sehen kann.
Im Wasserbecken wird das Flechtmaterial eingeweicht. So wird es flexibler und lässt sich besser verarbeiten. Das kann je nach Material von wenigen Minuten bis zu zwei Wochen dauern. Das Wasser wird übrigens nur jährlich getauscht, da durch die entstehenden Bakterienkulturen das harte Berliner Wasser weicher wird. Dies wirkt sich positiv auf das Biegeverhalten aus.
Weiden werden heutzutage eher beim Korbflechten eingesetzt, im Stuhlbau hat sich Rattan, ein Produkt der Rattanpalme, durchgesetzt.
Optisch erinnert es mich zunächst an Bambus, doch ich werde schnell eines Besseren belehrt: Bambus ist innen hohl und gehört botanisch zu den Grasgewächsen.
Beim Anblick des Binsengeflechts kamen mir dann plötzlich auch dutzende Erinnerungen an die Möbel meiner Kindheit. So schön und filigran alle anderen Geflechte sein mögen:
Gegen Emotionen und schöne Gedanken ist man machtlos. Die Konstruktion meines Stuhls wird auf dieses Geflecht angepasst.
Noch ein paar Worte zu der besuchten Einrichtung: Die USE (Union sozialer Einrichtungen)
in Berlin bietet behinderten/benachteiligten Menschen nachhaltige Arbeits-, Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Neben der Flechtmanufaktur gibt es auch eine Töpferei, BuchbinderInnen und SchachtelmacherInnen. Allesamt Handwerke, die in einer industrialisierten Welt eigentlich längst keine Beachtung mehr finden.
Hier wird also sowohl Menschen, als auch traditionellem Handwerk eine Chance gegeben.
Die Auftragsarbeiten werden mit hoher Qualität ausgeführt, es dauert eben nur ein wenig. Aber das kennen wir doch auch aus unseren Werkstätten oder?
Manch einer braucht da zum Beispiel Monate, um einen einzelnen Stuhl zu bauen 😉
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